Es ist Anfang Oktober, und ich steige am Londoner King’s Cross Bahnhof aus dem Zug – wieder einmal auf dem Weg nach Cambridge. Die Herbstluft riecht nach nassem Laub und dem leicht bitteren Duft der Heizungen, die in den alten Waggons knistern. In meiner Tasche stecken Notizen für dieses Mal: drei Geheimtipps, die ich nach Jahren der Pendelreise zwischen Londons grauen Skyline und den elisabethanischen Gassen von Oxford und Cambridge zusammengetragen habe. Es sind nicht die üblichen Empfehlungen – keine Führungen durch die Kollegien, keine Fotos vor dem Math Cloister. Nein, dies sind die Geheimnisse, die man nur erfährt, wenn man regelmäßig mit dem Regionalzug sitzt, sich mit Portierinnen und Bibliothekaren unterhält und abends in den kleinen Pubs der Vororte trinkt.
Wenn ich mit Alumni aus Londons Tech-Branche spreche – Softwareentwickler aus Shoreditch, Umwelttechniker aus Greenwich –, taucht immer dieselbe Frage auf: „Oxford oder Cambridge für Ingenieurwesen?“ Beide Universitäten glänzen mit legendären Laboren und Nobelpreisträgern als Dozenten. Doch die Wirklichkeit ist feiner gesponnen. In Oxford zieht mich das Department of Engineering Science in die Falle: Seine Stärke liegt in interdisziplinären Projekten, etwa der Entwicklung von KI-Algorithmen für erneuerbare Energien. Ich erinnere mich an einen Abend im St. Catherine’s College, wo mir Dr. Emily Hart – selbst in London aufgewachsen – von ihrer Kooperation mit dem Imperial College erzählte. „Wir wollen Ingenieure, die Brücken zwischen Disziplinen schlagen“, sagt sie und nippt an ihrem Tee. „Schau dir das Benson Institute for Applied Microelectronics an – dort arbeiten Studenten an Chips, die in Londoner Krankenhäusern eingesetzt werden.“
In Cambridge hingegen liegt der Fokus auf theoretischer Grundlagenforschung. Das Engineering Design Centre im Trumpington Street ist ein Ort, an dem Studenten in Werkstätten aus Holz und Messingprototype bauen – ein Echo des „Hands-on“-Ruhms, für den die Stadt bekannt ist. Ein Londoner Alumni, der jetzt bei AstraZeneca arbeitet, riet mir: „Wenn du an Applied Math und Materialwissenschaft interessiert bist, ist Cambridge dein Tor.“ Die Entscheidung hängt also nicht nur vom Ruf ab, sondern von deinem persönlichen Pfad: Willst du in Londons Startups einsteigen oder in globalen Forschungsconsortien mitarbeiten?
Die Mieten in der Innenstadt von Oxford und Cambridge sind legendär teuer – und das zu Recht. Doch wer wie ich regelmäßig die Züge von London nach Didcot Parkway (1,5 Stunden) oder Cambridge (2 Stunden) nimmt, entdeckt schnell die Geheimnisse. In Bletchley, nur 30 Minuten von Cambridge entfernt, finde ich kleine Reihenhäuser, die für ein Drittel der Preise im Stadtzentrum zu mieten sind. Ein Beispiel: Das The Green House B&B in der Churchill Road 12 (01908 640 123, geöffnet täglich 8–22 Uhr) bietet Zimmer mit Frühstück für 65 £/Nacht. Die Besitzerin, eine ehemalige Cambridge-Studentin, erzählt: „Viele internationale Studierende wohnen hier – wir haben sogar ein eigenes WLAN für Fernstudien.“
In Oxford führt mich der Weg nach Headington Hill – ein ruhigesVillenviertel mit Blick auf die Stadt. Hier miete ich ein Studio im Rose Cottage, Sandford Road 34 (01865 247 888, Check-in ab 15 Uhr). Für 90 £/Woche inklusive Heizung und Internet. Der Bus 285 fährt alle 20 Minuten ins Stadtzentrum. Diese Ecken sind nicht im Guide zu finden, aber sie existieren – wenn man bereit ist, ein wenig vom Zentrum wegzugehen.
„Schreib einfach, wer du bist“, sagte mir ein Tutor am Balliol College, als ich ihn nach Bewerbungsstrategien fragte. Doch hinter dieser scheinbar einfachen Antwort verbirgt sich ein komplexer Tanz. Die persönliche Erklärung muss nicht nur akademische Leistungen reflektieren, sondern auch zeigen, warum genau Oxford oder Cambridge passt. Ein Londoner Berater, der anonym bleiben möchte, enthüllt: „Wir lesen zwischen den Zeilen – sucht nach Leidenschaft, nicht nach Floskeln.“
Zum Beispiel: Anstatt nur „Ich liebe Physik“ zu schreiben, beschreibe, wie du im Londoner Science Museum die Teilchenbeschleuniger beobachtest und dabei die Gleichung für die Higgs-Boson-Resonanz ableiten wolltest. Oder erzähle, wie du in einer Pub-Debatte in Camden über Ethik in der KI diskutiert hast. Die Interviewphase ist ebenfalls ein Schlüssel. In Cambridge erwartet man, dass du Fragen zu deinen Forschungsinteressen stellst – sie zeigen dein Engagement. In Oxford hingegen wird häufig über deine persönlichen Hobbys gesprochen: „Was inspiriert dich außerhalb der Bücher?“
Tief im Herzen der Bodleian Library liegt das Radcliffe Camera – ein Barockjuwel, das Touristen oft übersehen, weil es sich hinter einer unscheinbaren Tür verbirgt. Wenn du den Haupteingang der Bibliothek durch die Broad Street betrittst, wende dich rechts in die Radcliffe Square. Dort, hinter einer kleinen Pforte, öffnet sich ein Innenhof mit Marmorsäulen und einem stillen Lesesaal unter der riesigen Kuppel. Die Atmosphäre ist fast meditativ – das Licht fällt in Strahlen durch die Glasscheiben, und das Flüstern der Leser ist der einzige Klang. Geöffnet täglich 9–17 Uhr, Eintritt frei.
Jeder kennt die Backs – die Gartenanlage der Colleges entlang des Cam. Doch die echten Insider treffen sich am Jesus Green, einem weniger überwachten Uferabschnitt zwischen Jesus College und der Jesus Lane. Hier kann man bei Sonnenuntergang auf einer der Holzbank sitzen, während Schwäne glitschig durch das Wasser gleiten. Der Blick auf das Clare College mit seinem gotischen Turm ist atemberaubend, aber ohne die Massen von Touristenbojen. Und wenn du Glück hast, siehst du Studenten des King’s College Choir, die auf dem Weg zu ihrer Probe vorbeischlendern.
Während viele Colleges ihre Hauptgärten für die Öffentlichkeit sperren, gibt es kleine, fast unbekannte Oasen. In Oxford öffnet das St. John’s College jeden zweiten Mittwoch im Monat seinen Secret Garden für Besucher – ein englischer Rasen, umgeben von 500-jährigen Eichen, in dem du unter einem alten Ahornbäumchen liegen und die Glocken von Carfax Tower läuten hören kannst. In Cambridge ist das Trinity College Garden – nur durch eine unscheinbare Tür in der Nevill’s Court zugänglich – ein Ort, an dem du dich in eine Picknickdecke legen und das Rauschen des River Cam lauschen kannst, während Studenten in Booten vorbeiziehen.
In der St. Giles’ Street 49 liegt das The Eagle and Child – ein Pub, der nicht nur wegen seiner historischen Bedeutung (hier traf sich die Inklings-Gruppe um Tolkien und Lewis) lohnt, sondern auch wegen seiner modernen britischen Küche. Ich sitze an einem Tisch im hinteren Bereich, wo das Licht weich ist und die Gespräche privat. Das „Oxford Sausage Roll“ – eine spezielle Mischung aus Schweins- und Rindfleisch, serviert mit süßsaurem Chutney – ist ein Muss. Für 12 £, geöffnete Dienstag–Samstag 12–22 Uhr. Der Besitzer, ein ehemaliger Student der University of Oxford, erzählt mir: „Wir versuchen, die Tradition mit zeitgenössischen Aromen zu verbinden.“
Ein paar Schritte vom Market Square entfernt liegt das The Pint Shop in der Corn Exchange Street 5. Hier gebe ich mein Bestes, um nicht sofort den „Northern Stew“ zu bestellen – eine herzhafte Mischung aus Rind, Kartoffeln und Wurzelgemüse, inspiriert von den Rezepten aus Manchester. Für 10 £, serviert mit frisch gebackenem Brot. Die Atmosphäre ist entspannt, mit dunklen Holzbalken und warmem bernsteinfarbenen Licht. Geöffnet Montag–Sonntag 11–23 Uhr. Ein Londoner Freund, der regelmäßig herkommt, schwärmt: „Hier fühlst du dich wie zu Hause, auch wenn du aus der Stadt kommst.“
Der schnellste Weg von London nach Oxford ist der Chiltern Railways-Schnellzug von Paddington Station. Die Fahrt dauert nur 56 Minuten und kostet mit Vorabbestellung 25 £ (off-peak). Mein Tipp: Nimm den Zug um 08:07 Uhr – er ist fast nie überfüllt und du kannst im ersten Wagen in Ruhe arbeiten. Nach Cambridge fahre ich mit dem Great Northern-Service von King’s Cross Station, ebenfalls 58 Minuten, 28 £ bei Buchung drei Wochen vorher. Der Zug fährt direkt zum Cambridge Station, und von dort ist es nur ein kurzer Spaziergang zum Market Square.
Für flexibelere Reisende empfehle ich die Megabus-Option: Ab London Victoria Coach Station nach Oxford (2 Stunden, 10 £) oder Cambridge (3 Stunden, 12 £). Die Busse sind bequem, aber die Fahrtzeit ist länger. Ein Geheimtipp: Buchen Sie für Mittwochtage, da die Busse deutlich leerer sind.
Ein Treffen mit Alumni aus dem Jahr 2010 im Camberwell Community Centre offenbarte Überraschendes: „Ein Oxford-Abschluss öffnet Türen in Londoner Finanzen, aber ein Cambridge-Abschluss gibt bessere Kontakte in Tech und Ingenieurwesen“, sagt ein ehemaliger Student, der jetzt bei Tesla UK arbeitet. Er erklärt: „In Cambridge hast du mehr internationale Klassenkameraden – das Netzwerk ist globaler.“ Ein Oxford-Absolvent, der jetzt bei Barclays arbeitet, ergänzt: „Oxford hat stärkere Verbindungen zu traditionellen Institutionen wie dem Foreign Office.“
Beide Universitäten bieten jedoch hervorragende Karrierezentren mit direkten Links zu Londons Top-Firmen. In Oxford kann man sich im Career Service registrieren und an Mock-Interviews mit Mitarbeitern von HSBC oder BP teilnehmen. In Cambridge gibt es das Centre for Applied Research in Human Resources, das speziell für Ingenieurabsolventen entwickelt wurde und Kontakte zu Rolls-Royce und Arm Holdings pflegt.
Die Bodleian Library in der Broad Street ist nicht nur eine der ältesten Bibliotheken der Welt – sie bietet kostenlose Führungen, bei denen man in die Geheimarchive schlendern darf. Jeden Dienstag um 14 Uhr gibt es eine „Silent Reading Hour“, in der du inmitten von seltenen Manuskripten lesen kannst, ohne einen Cent zu bezahlen. Und der Garden Library im Hinterhof ist kostenlos zugänglich und ein ruhiger Ort für ein Picknick.
Das Fitzwilliam Museum in der Trumpington Street besitzt eine beeindruckende Sammlung von Antiquitäten, Gemälden und Archäologie. Der Eintritt ist völlig kostenlos, und die Café Area bietet günstige Mittagessen für unter 6 £. Ein besonderer Tipp: Jeden Donnerstagabend veranstaltet das Museum „Late Night Opening“ bis 21 Uhr – perfekt für Studierende, die nach einem langen Tag noch Kultur genießen wollen.
In Oxford führt die Oxford University Alumni Walking Tour (treffen um 10 Uhr am Bodleian Library) kostenlos durch versteckte Gassen und erzählt Anekdoten, die du in keinem Guide findest. In Cambridge bietet die Cambridge City Guides Association freiwillige Führungen an, die sich durch Spenden finanzieren. Beide Tours dauern etwa 2 Stunden und sind ideal, um die Städte aus einer völlig neuen Perspektive zu sehen.
Wenn ich heute mit dem Zug zurück nach London fahre, spüre ich die kühle Herbstbrise durch das Fenster wehen. Oxford und Cambridge sind mehr als nur Colleges und Libraries – sie sind lebendige Organismen, die sich ständig verändern. Die Wahl zwischen den beiden hängt nicht nur von Studienprogrammen oder Kosten ab, sondern von deinem eigenen Temperament: Bist du der Typ, der lieber in historischen Gassen verschwindet (Oxford) oder an Flussufern mit Studentenbojen gleitet (Cambridge)? Mein letzter Rat an alle, die von London aus starten: Komm öfter her. Entdecke die verborgenen Winkel, trinkt in den kleinen Pubs, und lass dich vom Rhythmus dieser Städte überraschen. Sie werden dich zurückverwandeln – und du wirst sie nie wieder so sehen wie beim ersten Mal.